Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht bei auf Truthout.
Die Europäische Union führt Krieg gegen Geflüchtete.
Die rechtsextreme italienische Regierung hat vor kurzem den Notstand ausgerufen und ihre Häfen hermetisch versperrt. Die anderen EU-Mitgliedstaaten verschließen die Augen vor dieser Realität
Im Februar einigten sich die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder auf strengere Maßnahmen zur Bekämpfung der "illegalen Migration". Dazu gehören unter anderem die gegenseitige Anerkennung von Ausweisungsentscheiden und der Ablehnung von Asylanträgen. Gleichzeitig soll der Grenzschutz durch neue Infrastrukturen, mehr Überwachungskapazitäten und eine bessere Ausstattung der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) gestärkt werden.
Währenddessen spülen die Leichen von Hilfesuchenden vor den europäischen Küsten an. Laut Volker Türk, dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte, sind seit 2014 mehr als 26.000 Menschen bei der Überquerung des Mittelmeers ums Leben gekommen oder als vermisst gemeldet worden.
Hierbei handelt es sich sicherlich um eine erhebliche Unterschätzung der tatsächlichen Opferzahl. Das Forschungsprojekt "Migrant Files" schätzte, dass zwischen 2000 und 2014 allein auf See bis zu 80.000 Menschen auf der Flucht aus ihrem Land starben - dazu kommt eine mindestens ebenso große Zahl von Opfern, die in Wüsten verdursteten, verhungerten oder ermordet wurden. Und dann gibt es noch diejenigen, die Gewalt oder Vergewaltigungen erleiden, darunter auch Kinder.
Der Krieg der EU gegen Flüchtlinge ist nicht neu. Er begann spätestens mit den militärischen Tragödien auf dem Balkan in den 1990er Jahren. Damals versuchten viele Menschen, in die westeuropäischen Länder zu fliehen.
1993 wurde das deutsche Asylgesetz abgebaut, sowie eine Änderung des Grundgesetzes beschlossen, um sich vor Menschen zu "schützen", die aus dem ehemaligen Jugoslawien flüchteten. Bis dahin war jede politisch verfolgte Person, die in Deutschland landete, beschützt. Nach dieser historischen Kehrtwende konnte sich niemand mehr auf das Asylrecht berufen, der über ein sogenanntes sicheres Drittland ins Land einreiste. Heute verfügt Deutschland, das oft als "Lokomotive" Europas bezeichnet wird, über die restriktivsten Asylgesetze aller EU-Mitgliedstaaten.
Darüber hinaus verfasste die EU unter der Leitung des deutschen Kanzleramts das sogenannte Dubliner Übereinkommen, das 1997 in Kraft trat. Dieses Abkommen verpflichtet die Länder an den Außengrenzen der EU, Asylsuchende auf dem Weg nach Europa aufzunehmen.
Dieses System hält Migranten mehr oder weniger fern von den reichen Ländern des Nordens, während sich die Lage der Flüchtlinge in den weniger wohlhabenden Ländern des europäischen Südens verschlechtert. Flüchtlinge sitzen nun in Grenzstaaten fest, die sie schlecht behandeln, oder werden von einem Mitgliedstaat in den anderen geschickt. Die Gestaltung des Dublin-Systems zielt eindeutig darauf ab, Flüchtlinge zu entmutigen und sie vorsätzlich abzuweisen.
Parallel dazu hat die EU sogenannte "Türsteher-Abkommen" mit der Türkei, Libyen und anderen afrikanischen Ländern geschlossen. Im Rahmen dieser Abkommen arbeitet die EU mit autokratischen Regimen zusammen, um Flüchtlinge in ihren Ländern festzunehmen, sie zurück ins Meer zu drängen, in Gefängnissen anzuhäufen und abzuschieben, während die Autokraten im Gegenzug Hilfe und Geld erhalten. Die Fluchtwege auf den Kontinent wurden so durch verschiedene physische und virtuelle Mauern blockiert und kriminalisiert. Seitdem gibt es für Migranten praktisch keine sichere und legale Möglichkeit mehr, in die EU zu gelangen.
Angela Merkel, die damalige deutsche Kanzlerin, fasste ihre Strategie in einer Rede vor der Bertelsmann-Stiftung 2009 zusammen, als sie bemerkte, dass sich auch die deutsche Regierung an der "Flüchtlingsbekämpfung" beteiligte - sie hätte sagen sollen: Es war Berlin, das die Blockade in der EU zugunsten seiner Interessen durchsetzte.
Während Deutschland später von der Verschärfung des Dublin-Verfahrens "profitierte" (dank sinkender Flüchtlingsströme und hoher Ausgleichszahlungen, die aus einem EU-Fonds an alle Mitgliedstaaten entsprechend ihrer absoluten Flüchtlingszahlen verteilt wurden), sah die deutsche Regierung apathisch zu, wie sich der Schutz der Geflüchteten an den EU-Außengrenzen, in Griechenland und Italien, zunehmend verschlechterte.
Mit seinen verschiedenen restriktiven, abstoßenden und abschottenden Maßnahmen ist es dem reichsten Kontinent der Welt und seinen halben Milliarde Einwohnern gelungen, sich relativ gut von der Mehrheit jener Menschen abzuschliessen, die aus dem südlichen Mittelmeerraum auf der Suche nach Schutz kommen. In über 30 Jahren hat die "Festung Europa" nur wenige Krisenzeiten erlebt, wie 2015/2016.
Damals hatte die Lage von Millionen von Syrern, Afghanen, Irakern oder Jemeniten, die vor Krieg und Zerstörung flohen, einen extremen Tiefpunkt erreicht. Die Flüchtlingslager in der Region waren überfüllt und es fehlte wegen der Unterfinanzierung des UNHCR von den Geberländern an Nahrungsmitteln und Medikamenten. Nachbarländer wie der Libanon oder die Türkei waren nicht mehr in der Lage oder bereit, die Last zu tragen. Die Schutzsuchenden begannen, sich auf den Weg nach Norden zu machen.
Aber sollte in diesem Fall nicht zumindest das Prinzip der kausalen Verantwortung gelten? Die von den USA und ihren europäischen Verbündeten im Nahen Osten geführten Kriege, der Krieg in Syrien und die Unterstützung von Diktatoren und autoritären Regimen durch den Westen haben die Bedingungen geschaffen, vor denen viele Migranten fliehen - wie die amerikanischen oder deutschen Waffenlieferungen an den von Saudi-Arabien geführten Krieg im Jemen. Diese Verwüstungen haben zu aufeinanderfolgenden Migrationskrisen geführt, während die Mauern Europas immer höher wurden.
Es wurden auch wirkliche Mauern errichtet, noch bevor Donald Trump sich an die Arbeit machte, seine "große und schöne Mauer" zu bauen - und damit die Empörung der Liberalen in Europa hervorrief. An der Grenze der Türkei zu Syrien und dem Iran wurde 2018 eine mehrere hundert Kilometer lange und drei Meter hohe Betonmauer fertiggestellt, über die Stacheldraht gespannt wurde. Die EU hat den türkischen Grenzschutz mit Sicherheits- und Überwachungstechnologien im Wert von 80 Mio. € ausgestattet.
An der türkischen Grenze werden Menschen misshandelt, getötet und unter Missachtung des internationalen Flüchtlingsrechts in Kriegsgebiete abgeschoben.
Als Ergebnis stehen systematische Menschenrechtsverletzungen. Heute werden Flüchtlinge von der EU in Konzentrationslagern in Griechenland festgehalten, trotz starker Einwände von Menschenrechtsorganisationen.Viele ertrinken im Mittelmeer, da Boote illegal zurück ins Meer zurückgedrängt werden.
All das könnte gemildert oder abgeschafft werden. Seit Jahrzehnten schlagen Experten und NGOs Lösungen vor: Fähren für Flüchtlinge, gerecht geregelte Zusammenarbeit und Verteilung zwischen den Ländern entsprechend ihrer Kapazitäten, Abbau von Barrieren, Abschaffung fragwürdiger Abkommen mit Autokraten, Internationalisierung der Asylverwaltung und der Betreuung von Schutzsuchenden sowie Harmonisierung der Standards für Asylanträge und Flüchtlingshilfe.
Vor allem müssen die Ursachen für die Flucht schutzsuchender Menschen bekämpft werden, doch die Verantwortlichen begnügen sich mit schönen Worten.
Doch wie steht es um die gerne vorgebrachten “Belastungsgrenzen”, denen aufnehmende Staaten unterliegen? Gibt es denn keine Grenzen des Mitleids?. Die Wahrheit: Wir könnten viel mehr tun. Wir verfügen über enorme Kapazitäten und Ressourcen. Es ist eine Frage des politischen Willens, wie Flüchtlingsorganisationen zu Recht betonen.
Während sich die Gesamtzahl der Flüchtlinge in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat und die Grenze von 100 Millionen überschritten hat, haben die EU-Länder in diesem Zeitraum bis Ende 2021 3 Millionen Flüchtlingen Schutz geboten.
Wir sollten jedoch nicht vergessen, was Kenneth Roth, der ehemalige Exekutivdirektor von Human Rights Watch, im Jahr 2015 sagte, als Europa über die Ankunft eines "Tsunamis" verzweifelter Flüchtlinge aufgeschreckt wurde "Diese 'Welle von Menschen' gleicht eher einem Wassertropfen, wenn man ihn mit dem Becken vergleicht, das sie aufnehmen soll."
Roth hat Recht: Die EU ist eine extrem reiche Region mit 500 Millionen Einwohnern, die in den letzten 15 Jahren buchstäblich Billionen zur Rettung von Banken und Unternehmen ausgegeben hat. Im Zuge der Finanzkrise genehmigte die Europäische Kommission beispielsweise zwischen 2008 und 2017 Kapitalhilfen in Höhe von US$1,564 Billionen und Liquiditätshilfen in Höhe von US$3,924 Billionen für den Finanzsektor.
Während der COVID-19-Krise nutzte die EU ein massives Hilfspaket in Höhe von US$763 Milliarden , um die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten anzukurbeln und den von der Coronavirus-Pandemie betroffenen Unternehmen beim Überleben zu helfen.
Hilfe beim Überleben brauchen auch jene, die als Schutzsuchende zu uns kommen. Wie schon 2015/2016 haben die meisten von ihnen heute einen Schutzstatus. Die Schutzquote in Deutschland liegt bei 72 %. Unter Syrern und Afghanen liegt sie bei 100 Prozent.Es handelt sich also um echte Flüchtlinge. Sie abzuweisen ist letztlich eine Verletzung eines elementaren Menschenrechts, das gesetzlich von der Genfer Flüchtlingskonvention garantiert wird.
97 Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebene befinden sich nicht in der EU, sondern in den Grenzstaaten. Die meisten unter ihnen sind Entwicklungsländer und kaum in der Lage, die Millionen von Menschen zu unterstützen, die aufgrund von endemischer Armut, ausbeuterischen Handelsabkommen und Schuldenvereinbarungen und vielen anderen Problemen zusätzliche Hilfe benötigen.
Dank der "Festung Europa" - und natürlich auch der "Festung Amerika" - bleiben die meisten Flüchtlinge also in "höllischen Experimenten" gefangen, wie es in einer ARTE-TV-Dokumentation hieß. Sie werden in unmenschlichen Lagern zusammengepfercht, die aus Schlamm oder Wüstensand wie riesige Zelt-Ghettos wachsen.
Es gibt Alternativen zum Elend und zur Flüchtlings-Apartheid. Europa zeigt wieder einmal, wie zur Zeit der Auflösung der DDR und der osteuropäischen Flüchtlinge, dass es auch anders gehen kann. Zwischen 1988 und 1992 sind innerhalb von fünf Jahren mehr als 2,2 Millionen Bürger aus den ehemaligen kommunistischen Ländern Osteuropas in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert. Warum wurden diese Flüchtlinge aufgenommen? Weil sie für den Antikommunismus während des Kalten Krieges politisch nützlich waren.
Seit Russland vor einem Jahr in die Ukraine einmarschiert ist, sind etwa 4 Millionen Ukrainer in die EU gekommen und wurden dort gut aufgenommen. Polen, das historisch gesehen Migranten gegenüber ablehnend eingestellt war, nahm 1,4 Millionen von ihnen auf, während das polnische Volk sie mit Spenden und Hilfeleistungen unterstützte.
Obwohl die Regierung in Warschau damit begonnen hat, die Mittel für Ukrainer abzubauen, zeigt eine aktuelle Studie, dass 78 % von ihnen in Polen Arbeit hatten - weil der polnische Staat und die polnische Gesellschaft dafür gesorgt haben, dass ukrainische Flüchtlinge Arbeit finden konnten. Inzwischen hat Deutschland ein unbürokratisches Aufnahmeverfahren für Ukrainer eingeführt, indem es langwierige Asylanträge und vor allem die Nutzung entwürdigender Massenunterkünfte aussetzte.
Das war absolut richtig. Aber es ist heuchlerisch und rassistisch, die Panik über Flüchtlinge erneut zu schüren - oft aus politischen Gründen - und sie speziell gegen Afrikaner, Araber und Muslime zu richten.
Gewiss gibt es echte Herausforderungen. Die Unterbringung der Flüchtlinge muss geregelt und sie mit Ressourcen versorgt werden. Aber die Probleme Europas sind hausgemacht. Der Grund dafür ist, dass die Mittel für die Kommunen gekürzt wurden, ohne dass neue Gelder in Sicht sind. Das muss sich so schnell wie möglich ändern.
Die vorsätzlich abgebauten Kapazitäten dieser Kommunen zu nutzen, um Debatten über Grenzsicherung, die Verstärkung von Zäunen, die Sabotage des Flüchtlingsschutzes (d. h. die Versetzung von Asylverfahren an die Außengrenze) und die Begrenzung der Aufnahmezahlen anzuheizen, löst nicht nur keines der Probleme, sondern schürt Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Feindseligkeit in der Bevölkerung.
Wollen die Europäer wirklich wieder die protofaschistische Rhetorik von "wir" gegen "die" schüren, wie wir es in der letzten "Flüchtlingskrise" getan haben? Damals ließ die Rhetorik von "Überschwemmungen von Menschen", Überbevölkerung und kriminellen Eindringlingen, die sowohl von Liberalen und Sozialdemokraten als auch von rechtsextremen Kräften häufig vorgebracht wurde, die Neonazi-Partei Alternative für Deutschland (AfD) in alle Landesparlamente und in den deutschen Bundestag einziehen. Als Ergebnis tritt die Rechte überall in Europa gestärkt auf.
Es gibt keinen Grund, von einer Überlastung zu sprechen, auch wenn die Zahlen nach einem jahrelangen Rückgang der Flüchtlingsaufnahme wieder ansteigen. Dies ist infolge der zahlreichen globalen Krisen und der COVID-19-Pandemie auch nicht überraschend.
Zum Beispiel lag die Zahl der neuen Asylbewerber, die 2022 nach Deutschland kamen, bei etwa 193.000 und damit unter der Grenze von 200.000, die von konservativen Parteien wiederholt gefordert wird. Für 2023 wird jedoch mit einer wesentlich höheren Zahl gerechnet. Doch angesichts von 100 Millionen schutzsuchenden Menschen weltweit ist das immer noch ein Tropfen im Meer.
Im Gegensatz dazu hat allein Deutschland ohne Asylverfahren über eine Million Ukrainer aufgenommen.
Obwohl Asylsuchende nur einen kleinen Teil der aufgenommenen Personen ausmachen, stehen sie im Mittelpunkt der Mediendebatte, die sich erneut auf die Erhöhung der Zäune, Abschiebungen und Abstoßung konzentriert, wie es auch bei der letzten "Flüchtlingskrise" der Fall war - die de facto eine Krise der Abschottung war, auf die trotzdem mit mehr Maßnahmen zur Verhinderung der Einreise reagiert wurde.
Der Vorsitzende der CDU Friedrich Merz behauptet erneut, die Nation habe die "Grenzen der Belastbarkeit" erreicht, als handle es sich um eine durch Naturgesetze festgelegte Menge. Er fordert einen stärkeren Schutz des EU-Territoriums und die Einrichtung von Asylzentren an den Grenzen – was auch eine ständige Forderung der AfD ist. In Wirklichkeit wollen sowohl die rechtsextreme Partei als auch der neue Sonderbeauftragte der deutschen Regierung für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP), diese Zentren in afrikanischen Ländern einrichten.
Diese Rhetorik ist ein populistisches Ablenkungsmanöver ohne inhaltliche Grundlage, das den Menschen Sand in die Augen streut und ihnen die Realität der internationalen Rechtsordnung verschleiert. Die afrikanischen Staaten lehnen diese Ideen seit langem als "neokolonial" ab.
Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament Manfred Weber (CSU) behauptet, dass die EU "in einer neuen Migrationskrise schlafwandelt", die aus Hunderttausenden "illegalen Migranten" besteht. Weber betonte, dass "Mauern nur als letztes Mittel gebaut werden sollten, aber wenn wir keine andere Möglichkeit haben, die illegale Einwanderung zu stoppen, müssen wir bereit sein, Zäune zu bauen" - als würde die geringe Zahl an "illegalen Migranten" ohne jegliche Rechte, die dazu verurteilt sind, im Untergrund zu leben, ein Problem für die EU darstellen. Unterdessen stellte Webers Parteikollege und bayerischer Innenminister Joachim Herrmann die Sozialleistungen für Asylbewerber in Frage.
Wenn sich die EU, die politischen Führer und die Journalisten gegen das Recht unerwünschter Flüchtlinge, Schutz zu suchen, positionieren wollen - damit die politisch wertvollen Ukrainer ausschließen - und dies nutzen, um migrantenfeindliche Stimmung zu erzeugen und politisch zu punkten, warum tritt die EU dann nicht einfach ganz aus der Flüchtlingskonvention aus?
Eine Reihe von Staaten wie Indien haben die Genfer Konvention nicht unterzeichnet, die Türkei übrigens auch nicht, da das Land eine geographische Begrenzung seines Geltungsbereichs beibehält, derer nach der Flüchtlingsstatus nur Personen, die aufgrund von "Ereignissen in Europa" fliehen, zuerkannt werden kann. Warum also unternimmt die EU seit Jahrzehnten all diese Anstrengungen, um den Kontinent gegen völkerrechtlich geschützte Flüchtlinge abzuschotten - - Anstrengungen, für die übrigens viel Geld und Ressourcen sinnlos verschwendet wurden?
Die schmutzige Wahrheit hinter dem humanitären und liberalen Selbstbild der europäischen und deutschen Eliten, die ihr Engagement für Menschenrechte und Flüchtlinge zur Schau stellen, ist, dass sie weniger aus humanitären als aus geostrategischen und nationalistischen Interessen heraus denken und handeln.
James C. Hathaway, einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Flüchtlingsrechte und Autor des Standardwerks "The Rights of Refugees under International Law", analysiert dies wie folgt:
Sollte sich der Norden vollständig vom internationalen Flüchtlingsrecht zurückziehen, gäbe es keine politisch begründete Basis, auf der man darauf bestehen könnte, dass die ärmeren Länder im Kontext des derzeitigen Systems atomisierter Verantwortung und schwankender Wohltätigkeit seitens der reicheren Welt weiterhin ihre migrationsrechtlichen Verpflichtungen erfüllen. Und wenn die weniger entwickelten Staaten diesem Beispiel folgen und das internationale Flüchtlingsrecht auch wegen der anhaltenden Instabilität in weiten Teilen des Südens der Welt - die zu oft massiven Migrationsströmenströmen führt - aufgeben sollten, könnten die negativen Auswirkungen auf die globale Sicherheit und das wirtschaftliche Wohlergehen gewaltig sein. Gäbe es weniger Möglichkeiten, nahe der Heimat Schutz zu finden, würden noch mehr Flüchtlinge den Blick in die Ferne richten - ein Szenario, das sich die reichsten Länder nicht einmal vorstellen wollen.
Es gibt vernünftige und nachhaltige Lösungen und Reformvorschläge, die über das Ad-hoc-Krisenmanagement hinaus für alle Beteiligten vorteilhaft sind - insbesondere für die Flüchtlinge und die Staaten an vorderster Front, aber auch für die reichen Industrieländer und ihre Bevölkerungen. Diese Vorschläge liegen seit Jahrzehnten auf dem Tisch und wurden von parlamentarischen Beratungsgremien, Menschenrechtsorganisationen und Akademikern erarbeitet. Sie finden auch in Europa breite Unterstützung, wenn sie gerecht umgesetzt werden.
Doch in der breiten Mediendebatte kommen diese Vorschläge praktisch nicht vor. Solange dies der Fall ist, wird die EU weiterhin den Krieg gegen unerwünschte Flüchtlinge führen, wie es die Vereinigten Staaten tun, mit all den schrecklichen Folgen, die dasmit sich bringt.
Leider gibt es niemanden, der mit gutem Beispiel vorangeht. Die Biden-Regierung hatte versprochen, Trumps harte Linie in der Einwanderungspolitik abzubauen. Stattdessen hat sie die Beschränkungen des Titels 42 durch eine noch härtere Politik ersetzt. Heute wird Menschen auf der Flucht im Wesentlichen Asyl verweigert, da sie sich durch eine unzuverlässige mobile App im voraus an einer Einreisestelle verabreden oder eine fehlerhafte Drittstaatenregel einhalten müssen - was mit verschiedenen Übergriffen an den Grenzen einhergeht. Die international garantierten Rechte von Flüchtlingen erodieren auf beiden Seiten des Atlantiks, in den USA und in Europa.
Krokodilstränen über gefolterte Flüchtlinge - in Ländern, mit denen wir Türsteher-Abkommen geschlossen haben - und ertrinkende oder verhungernde Asylbewerber, die wir aufs Meer zurückdrängen oder abschieben,ändern daran nichts.
David Goeßmann ist Journalist, Autor und Chefredakteur des deutschen Nachrichtenmagazins Telepolis.
Photo: Mstyslav Chernov / Wikimedia Commons