Am 3. März ereignete sich in Deutschland anlässlich des globalen Klimastreiks ein besonderer Schulterschluss: Klimaaktivist*innen und ÖPNV-Beschäftigte streikten Seite an Seite. In 30 Städten besuchten Klimaaktivist*innen die Streikposten der Beschäftigten und holten sie dort für gemeinsame Demonstrationen ab. Laut Fridays For Future nahmen 200.000 Menschen an den bundesweiten Demonstrationen teil.
Dass diese Allianz aus Beschäftigten und Klimabewegung für die herrschende Klasse durchaus ein Bedrohungspotenzial darstellt, verdeutlicht die Reaktion der Arbeitgeberseite. Steffen Kampeter, Hauptgeschäfsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA), denunzierte sie am Morgen des gemeinsamen Streiktages öffentlich als “eine gefährliche Grenzüberschreitung”. Ver.di vermische die Streiks im Rahmen der Tarifauseinandersetzung mit allgemeinpolitischen Anliegen und begebe sich dabei auf das Terrain des politischen Streiks. Zur Freude der Kampagnenaktiven trug dieser Vorwurf dazu bei, dass der Schulterschluss die Nachrichtenmeldungen an diesem Tag dominierte.
Dieser Schulterschluss zwischen Arbeiter*innen- und Klimabewegung war längst überfällig: Mehr, kostengünstiger und flächendeckender ÖPNV ist eine der entscheidenden Stellschrauben für sozial gerechten Klimaschutz. Doch die Verkehrswende wird in Deutschland bislang verunmöglicht: Zahlreiche Beschäftigte im Nahverkehr arbeiten unter widrigsten Bedingungen im Schichtbetrieb und kommen mit ihren Löhnen knapp über dem Mindestlohn kaum noch bis zum Monatsende. Viele verlassen deshalb den Job. Jetzt schon fehlen zehntausende Fahrer*innen. Dieses Problem wird sich in den nächsten Jahren verschärfen. Gleichzeitig steigen die Ticketpreise stetig an und das Angebot ist vor allem auf dem Land extrem ausgedünnt.
Unter dem Motto #wirfahrenzusammen macht die bundesweite Allianz zwischen Klimabewegung und Beschäftigten deutlich: Sie verfolgen gute Arbeitsbedingungen und mehr Investitionen in den Nahverkehr. Denn die Abwägung zwischen sozialen oder ökologischen Maßnahmen wird die Probleme nicht lösen. Der Kampf für ein gutes Leben für alle wurde beim Klimastreik am 3. März von einer Proklamation zu einer echten Praxis. Der betriebliche Streik und der Klimastreik wurden zu einem gemeinsamen Streik für eine gesellschaftliche Infrastruktur, die ökologisch und sozial nachhaltig ist, zusammengeführt.
Die Allianz fußt aber nicht nur auf einer programmatischen Idee. Sowohl die deutschen Gewerkschaften als auch die Klimabewegung müssen gegen Mitgliederschwund und Desillusionierung ankämpfen. Ihre Zusammenarbeit ist eine mögliche Antwort darauf. Bündeln sie ihre Kräfte, könnten sie beide wiedererstarken, indem sie sich die jeweiligen Machtressourcen zunutze machen. Während die Gewerkschafter:innen in ihrer Tarifauseinandersetzung durch die Beteiligung von Fridays For Future mehr Öffentlichkeit und Legitimität für ihre Forderungen erhalten, kann sich die Klimabewegung durch die Ausrichtung auf das Bündnis mit Beschäftigten breitere gesellschaftliche Unterstützung und neue Machthebel, zum Beispiel den des Streiks, erschließen.
Die Zusammenarbeit vor Ort nahm in den letzten Monaten sehr unterschiedliche Formen an: Aktivist*innen organisierten zunächst konkrete Solidarität für die streikenden Beschäftigten – seien es Unterstützungserklärungen von Fahrgästen in Postkartenform, Aktionen, bei denen die Politik mit den Anliegen der Beschäftigten konfrontiert wurden oder Versammlungen der Stadtbevölkerung, bei denen Beschäftigte von ihren Arbeitsbedingungen berichteten. So zog die Solidarisierung mit den Beschäftigten immer weitere Kreise. Teilweise bauten Aktivist*innen auch die Streikbereitschaft im Betrieb mit auf.
Dass am 3. März ein betrieblicher Streik mit dem Klimastreik zusammenfiel, ist das Ergebnis von jahrelanger Arbeit und Annäherungsschritten von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Gewerkschafter:innen und Klimaaktivist:innen. Bereits 2020 unterstützen in zahlreichen Orten Klimaaktivist:innen die streikenden ÖPNV-Beschäftigten.
Die Idee der Allianz entstand infolge eines strategischen Vakuums in Fridays For Future Deutschland. Die Bewegung flaute langsam ab und es gelang nicht, auf weitere Teile der Gesellschaft auszustrahlen. Die Parole des “System Change” war zwar in aller Munde, allerdings blieb es bei symbolischen Aktionen zivilen Ungehorsams oder großen Protesten mit Appellcharakter an die politischen Entscheidungsträger*innen. Die Allianz im Jahr 2020 strebte an, die Klimafrage in die Betriebe zu tragen, um aktiv weitere Teile der Arbeiter*innenklasse in den Kampf für Klimagerechtigkeit einzubeziehen und die Streikmacht, die in den Betrieben liegt, als Kampfform hinzuzugewinnen.
Daraus entstanden kleine Aktivenkreise, in denen über die Tarifrunde und die Verkehrswende diskutiert wurde. Ein gemeinsamer Streik schien damals jedoch noch unrealistisch. Die lokalen Bündnisse bestanden aus einigen wenigen Überzeugten, die Klimastreiks sprachen viele der Kolleg*innen aus dem ÖPNV nicht an. Gemeinsame Aktionsformen und eine gemeinsame Sprache mussten zunächst entwickelt und erprobt werden. Wollen vornehmlich studentische Klimaaktivist*innen mit ÖPNV-Beschäftigten zusammenkommen, stellen sich viele Fragen: Wie baut man solch ein bundesweites Bündnis systematisch auf? Welche Austausch- und Aktionsformate braucht es? Lokal stellt sich die Frage, wie man anfängliche gegenseitige Skepsis überwindet. Oder ganz konkret: Um welche Uhrzeit setzt man ein Bündnistreffen an, damit auch Menschen in Schichtarbeit teilnehmen können?
Erste Erfolge konnte die Kampagne 2020 bereits erzielen. Nach außen hin konnten die öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Pressestatements mit Fridays for Future den Streiks im ÖPNV mehr Legitimität verschaffen. Durch die Allianz und die gemeinsamen Aktionstage ist zudem teilweise eine stärkere Identifikation der Beschäftigten mit ihrer Tarifrunde entstanden. In einigen Städten gründeten sich im Zuge der sozial-ökologischen Bündnisse Betriebsgruppen, die bis heute bestehen und die derzeitigen Streiks aktiv mit aufbauen. Es konnte viel gegenseitige Skepsis abgebaut werden und die Klimabewegung gewann an Legitimität in einigen Verkehrsbetrieben. Auf dieses Vertrauen und auf die vor Jahren geknüpften Kontakte konnte dieses Jahr angeknüpft werden.
Die Kernaktiven nutzten ihre Verteiler, um Aktivist:innen aus Betrieb und Klimabewegung für die erneute Allianz zu gewinnen. Gemeinsame Aktionstage konnten weit im Vorhinein geplant werden. Begegnungsformate, die 2020 gut funktionierten, dienten vielen Ortsgruppen als Inspiration.
Von Monat zu Monat gewinnt die Kampagne an Fahrt: Am Montag, den 27. März, rief die zuständige Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zu einem im kompletten Verkehrsbereich auf. So streikten neben den ÖPNV-Beschäftigten auch der Luft-, Schienen- und Wasserverkehr. Erneut fanden in 25 Städten gemeinsame Aktionen von Klimagruppen und den Verkehrsbeschäftigten im Rahmen des “Megastreiks” statt. Ver.di sprach sogar vom größten Streik seit 1992.
Der nächste logische und notwendige Schritt wäre, dass sich auch in anderen Ländern Klima- und Arbeiter*innenbewegung dem gemeinsamen Kampf anschließen. Die große Errungenschaft von Fridays For Future ist, dass es sich um eine global angelegte Bewegung für ein globales Problem handelt. Auf dieser Grundlage sollten wir gemeinsame europa- oder bestenfalls weltweite Forderungen nach einer radikalen Verkehrswende aufstellen und gemeinsame Aktions- und Streiktage planen. Ein (internationalistischer) climate turn der Gewerkschaften und ein labour turn der Klimabewegung könnten der Schlüssel für einen Aufschwung und ein lange nicht dagewesenes Potenzial zu sozialen und ökologischen Fortschritten sein.
Setzen wir der Fahrt in den Abgrund eine gemeinsame Fahrt in eine solidarische Zukunft entgegen.
Interessierte sind herzlich zu einem ersten Erfahrungsbericht- und Austausch am 11. April 2023 um 07:00 PM CET eingeladen.
Franziska Heinisch ist Autorin und Aktivistin an der Schnittstelle von Klima- und Arbeitskämpfen. Sie arbeitet als Organizerin und lebt in Berlin.
Julia Kaiser ist Soziologin und erforscht schwerpunktmäßig sozial-ökologische Transformationskonflikte und Allianzen. Sie ist politisch aktiv im SDS und der LINKEN in Leipzig.
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