Dieser Essay ist Teil der Serie "Eine Vision für Schuldengerechtigkeit" des Plans für Schuldengerechtigkeit der Progressiven Internationale.
Uns, den Völkern des Südens, ist ein Mythos verkauft worden: Dass wir machtlos sind, unsere Schulden zurückzuweisen, weil unsere Rettung in den Händen von denen liegt, die uns beherrschen und ausbeuten. Aber unsere Schulden sind nicht legitim. Die Bekämpfung der Schuldenverhältnisse — nicht nur in ihrer gegenwärtigen Form, sondern als Produkte einer längeren Geschichte kolonialer wirtschaftlicher Expansion — ist entscheidend für unsere Befreiung.
In seinem historischen, sozialen, politischen und ökonomischen Kontext betrachtet, bringt ein solches Verständnis von Schulden die grundlegende und wesentliche Frage nach der Legitimität der “Schulden” und der sogenannten Verschuldung der Völker des Südens auf.
Diese Frage der Legitimität ist nicht nur eine rechtliche Frage. Für die Kreditgeber sind diese Schulden rechtlich die Schulden der Völker des Südens. Dies muss in Frage gestellt werden — wir müssen die Natur der Schulden, den Zweck der Schulden, die Auswirkungen der Schulden und letztlich die Frage, wer diese Schulden schuldet, hinterfragen. Die Geschichte ist voll von Beispielen für eine Politik und Maßnahmen, die zwar legal, aber dennoch zutiefst ungerecht und unannehmbar sind.
Die internationalen Kreditgeber des Nordens haben selbst die Situation der Verschuldung und die “Notwendigkeit” der Kreditaufnahme durch eine lange Geschichte der Kolonisierung, Neokolonisierung und kapitalistischen Globalisierung geschaffen. Das brachte eine Ausbeutung der Völker, der Gemeinschaften, der natürlichen Ressourcen und der Wirtschaft des Südens und die daraus folgende Verarmung der Länder des Südens mit sich. In den meisten Ländern führte die daraus entstehende Unterentwicklung, Armut und der Mangel an finanziellen Ressourcen zu einer Abhängigkeit von Importen, unter extrem ungleichen Handelsbedingungen. All dies wurde dann zur Rechtfertigung für externes Kapital, sich in Form von Hilfe, Investitionen und Krediten auf die Länder zu zwingen.
Es liegt in der Natur dieses Systems, dass genau die Kräfte und Institutionen, die uns ausbeuten, sich als unsere Wohltäter und als Überbringer der Lösungen für unsere Probleme darstellen.
Das ist keine Lehre aus der Geschichte. Internationale Gläubiger, insbesondere Kreditgeber aus dem Globalen Norden, benutzen heute Schulden als Mittel um den Süden weiter auszuplündern, indem sie aktiv den Bedarf an Krediten fördern und dann unerbittlich Kredite den Regierungen und privaten Unternehmen im Süden aufzwingen.
Die Kreditgeber machen nicht nur riesige Gewinne durch die Zinsen für die Kredite, sondern nutzen Schulden und Kredite auch als politische Druckmittel. Lokale Eliten zögern oft nicht, die brutalen Bedingungen der Kredite zu akzeptieren, egal ob diese Schulden dann die Rechte und das Potenzial von Nationen und Völkern hindern, ihre eigenen Entwicklungsprogramme und -prozesse zu bestimmen und zu lenken. Der Kreislauf geht weiter: Dominanz- und Ausbeutungsverhältnisse bleiben auch Jahrzehnte nach nationalen Befreiungskämpfen erhalten und Reichtum und Macht sind weiterhin im Norden konzentriert, trotz des sogenannten "globalen" kapitalistischen Systems.
Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen, wessen Schulden sind das? Von globalen Technokraten diktiert, von technokratischen Eliten im eigenen Land akzeptiert, haben die Menschen kein Sagen. In vielen Ländern haben diese Schulden die Taschen korrupter Regierungsbeamter gefüttert. Tatsächlich wurden Kredite an private Unternehmen und deren Kumpane oft von Regierungen garantiert, die anschließend die Zahlungen für diese Kredite mit öffentlichen Geldern übernahmen.
Viele Schulden wurden durch fragwürdige, betrügerische und illegale Mittel aufgenommen, von illegitimen Beteiligten, mit illegitimen Bedingungen, für illegitime Zwecke. Gerade in den letzten Jahrzehnten haben wir zahlreiche Beispiele für illegitime Schulden gesehen:
In vielen Ländern des Südens sind allein die Zahlungen für Zinsen der größte Teil der öffentlichen Ausgaben. Sehen wir uns das mal an: Mitten in einer globalen Pandemie gibt Afrika dreimal mehr für die Rückzahlung von Schulden an Banken und Spekulanten aus, als es kosten würde, den gesamten Kontinent gegen COVID-19 zu impfen.
Die Bedienung dieser riesigen Schulden stellt eine untragbare Belastung für die Länder des Südens dar und hat schreckliche Auswirkungen auf die Menschen, die Wirtschaft, die Ökologie und die Umwelt. Da die Bezahlung der Schulden Vorrang hat, sind die Grundrechte der Menschen, wie das Recht auf Gesundheit, Bildung, Wohnung und Nahrung die ersten, die den Preis dafür zahlen müssen.
Wir haben diesem Schuldenregime nicht zugestimmt. Die meisten dieser Schulden wurden ohne Absprache mit der Bevölkerung und ohne deren Zustimmung aufgenommen und angehäuft, Schulden, von denen sie nicht begünstigt wurden, Schulden, die in vielen Fällen sogar gegen sie verwendet wurden. Ein Blick auf die Zahlen macht es deutlich: Die ursprünglichen Schulden wurde von den Völkern des Südens bereits um ein Vielfaches bezahlt, in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht, in sozialer und ökologischer Hinsicht und in menschlicher Hinsicht. Die Völker des Südens sollten nicht dazu gebracht werden, diese illegitimen Schulden zu bezahlen.
Wenn man nach Helden und Bösewichten in dieser Geschichte sucht, dann wird den Völkern und Ländern des Südens in der Tat eine enorme historische, soziale und ökologische Schuld geschuldet: Unsere Reichtümer, die vom Norden gestohlen wurden. Das neoliberale globale Wirtschaftssystem, das für das Schuldenproblem verantwortlich ist, ist in seiner Funktionsweise und seinen Auswirkungen zerstörerisch und genozidal. Dieselben Institutionen und dasselbe System, die für das Schuldenproblem verantwortlich sind, können keine dauerhafte Lösung dafür bringen. Dieses System muss geändert werden und kann geändert werden.
Nationale und internationale Schuldenkampagnen auf lokaler Ebene und die Entwicklung von Alternativen müssen deren Perspektive und Analyse mit der Frage der Legitimität verbinden. Für uns ist ein wichtiger Teil der Kampagnenarbeit die Aufgabe, vorherrschende Ordnungen, Annahmen, Konzepte und Behauptungen in Frage zu stellen. Dadurch werden die Bedingungen der Debatte festgelegt, um den Menschen eine strategische Richtung und Vision für ihr Handeln zu geben. Wir sollten die Frage der Legitimität von Schulden ansprechen und unsere Definitionen dessen, was Legitimität und Illegitimität ausmacht, vertreten.
Die Frage der Illegitimität von Schulden zeigt deutlich, dass die globale Forderung nach Schuldenerlass keine Frage der Nächstenliebe gegenüber den verarmten Ländern des Südens ist. Beim Schuldenerlass geht es nicht nur darum, ob die Länder des Südens es sich leisten können oder nicht, die Schulden zu bezahlen. Die Frage der Illegitimität macht den Schuldenerlass nicht nur zu einem Muss für das Überleben und die Entwicklung: Der Erlass von illegitimen Schulden sollte als Recht der Völker und Nationen und als Pflicht der Regierungen des Südens hochgehalten werden.
Wir verstehen, dass die Durchsetzung unseres umfassenden Rahmens zur Illegitimität von Schulden nicht nur durch die Wiederholung unserer Analyse und Position zu erreichen ist. Wir wissen, dass die strategischen Forderungen nach einem totalen Schuldenerlass für alle Länder des Südens und der Ablehnung von Schulden nicht einfach heißt, diese Slogans überallhin zu tragen. Der Kampf gegen die Schuldenherrschaft braucht Kampagnen, die sowohl politische als auch konkrete Siege anstreben, Veränderungen in Prozessen und in der Politik, die demokratische Ermächtigung und Beteiligung erhöhen und konkrete Verbesserungen der Bedingungen unserer Bevölkerung bewirken.
Der Anstieg der illegitimen Schulden hat sich über Jahrzehnte entwickelt. Und im Zuge dieser Pandemie wird sich alles nur noch verschlimmern, da die Entwicklungsländer nicht nur die Pandemie bekämpfen, sondern auch die wirtschaftlichen Schäden durch Lockdowns, Bankrotte und abgebrochene Investitionen aus dem Ausland ausgleichen müssen.
Unsere oberste Forderung ist einfach: Nein zu illegitimen Schulden. Aber wie wir in diesem Text argumentiert haben, erfordert dieses Nein eine systematische Neubewertung und Umgestaltung des internationalen Finanz- und Wirtschaftssystems.
Lidy Nacpil ist ein Mitglied des Kollektivs für Schuldengerechtigkeit (Debt Justice Collective) der Progressiven Internationale. Lidy ist Koordinatorin der Asian Peoples Movement on Debt and Development (APMDD)) und Vizepräsidentin der Freedom From Debt Coalition auf den Philippinen.
Wir leben in einer Welt der Schulden. Die Tiefe und das Ausmaß der globalen "Verschuldung" kann kaum überschätzt werden. Die zentrale Aussage dieser Sammlung ist, dass all diese unterschiedlichen Entwicklungen — Hedgefonds, die pandemische Gewinne einstreichen, Studierende, die um ihre Ausbildung kämpfen, Mikrokreditnehmer*innen, die am Rande des Bankrotts stehen — verschiedene Erscheinungsformen desselben strukturellen Mechanismus im Kern des globalen Finanzsystems: Der endlose Kreislauf von privatisierten Gewinnen und sozialisierten Verlusten. Einfach ausgedrückt: Die Reichen werden reicher, während die Armen absichtlich arm bleiben.
Das Ziel dieses Kollektivs ist das Ziel von progressiven Bewegungen auf der ganzen Welt: diesen Kreislauf zu beenden. Lesen Sie den vollständigen Plan für Schuldengerechtigkeit hier. Wenn du daran interessiert bist, mit uns zusammenzuarbeiten, schreibe bitte an Varsha Gandikota-Nellutla unter [email protected].